Quelle: Marcel Schöb
Marcel Schöb
Alltag im Anlagenbau
Immer wieder hört man von neuen Technologien und Planungsinstrumenten. Was geschieht aber in der Praxis und auf der Baustelle oder im Anlagenbau? Leider machen wir dort immer wieder Erfahrungen, als würde zum ersten Mal gebaut – und das teilweise von Fachleuten mit jahrelanger Erfahrung.
Wer in der Automationsbranche eine Steuerung programmiert und in Betrieb gesetzt hat, kennt auch den physikalischen Aufbau und ist somit der beste Partner für den Support. Dafür ist es sehr hilfreich, dass eine Firma eine tiefe Fluktuationsrate und ein stabiles Partnernetz hat. Nehmen wir ein Beispiel: In einer Firma werden in nächster Zeit einige der langjährigen Mitarbeiter in den verdienten Ruhestand gehen. Deren Nachfolger brauchen Zeit, um sich einzuarbeiten und in das Arbeitsumfeld als Kunden und Partner hineinzuwachsen. Um dieser Situation Rechnung zu tragen, hat die fragliche Firma ihr Team kontinuierlich verstärkt und ist nun mit knapp 80 Mitarbeitenden doppelt so gross wie vor 20 Jahren. Dank des Zuwachses hat der Anbieter die notwendigen Kapazitäten für zukünftige Projekte und Supportanfragen.
Um für alle Mitarbeitenden genügend Platz zu haben, baut die Firma die bestehende Liegenschaft aus. Abgesehen von einem Ein- und Auslass der Lüftung werden aussen am Gebäude keine Anpassungen vorgenommen. Natürlich braucht es trotzdem ein Baugesuch. Aus einem Keller wird eine Parkgarage und aus der Werkstatt ein Büroraum. Daraus ergibt sich folgende Geschichte:
Ende Juni 2022 wurde entschieden, den Umbau vorzunehmen. Innerhalb einer Woche wurde vom Architekten das Baugesuch bei der Gemeinde eingereicht. Aufgrund des Projektumfangs gab es diverse Rückfragen an den Architekten, welche zeitnah beantwortet wurden. Der Publikation des Baugesuchs sollte nichts mehr im Wege stehen. Leider wurde dieses nach mehrmaligen Nachfragen erst sechs Wochen später publiziert. Kurz vor Ende der Auflagefrist meldeten sich teils private Organisationen, welche Empfehlungen und Vorgaben machen dürfen. Auch als nicht öffentlicher Bauherr hat sich die Firma daran zu halten. Selbst nach der Einsprachefrist wurden weitere Bedingungen gestellt.
Das Baugesuch wurde schliesslich nach mehr als vier Monaten mit mehreren Auflagen bewilligt:
· neue Treppengeländer
· Rampen mit Handläufen
· Hochwasserschutz
· Fluchtweganpassung aufgrund der neuen Raumaufteilungen
· Radonschutzmassnahmen
Auf die Gebührenrechnung musste die Firma dann nicht lange warten. Diese wurde weder vergessen noch liegen gelassen, noch durch Auflagen Dritter verzögert. Überall wird über Wirtschaftsförderung und Abbau von administrativen Hürden diskutiert. Leider scheinen die geltenden Gesetze und Vorschriften dies zurzeit (noch) nicht zuzulassen.
Lustverlust durch Dokumentenflut statt Arbeitsfortschritt
In den letzten Jahren hat eine grössere Automationsfirma an grossen Rechenzentren-Projekten mit ausgiebiger Qualitätssicherung mitgewirkt. Es gab dabei für sehr vieles ein Formular und jede Menge Vorschriften. Man konnte annehmen, dass dadurch die Organisation der Arbeiten vor Ort top wäre:
· Es ist obligatorisch und kostenpflichtig, Badges bei einem Dienstleister zu beantragen, der sicherstellt, dass niemand ausgebeutet wird.
· Täglich müssen geplante Arbeiten inklusive vorgängig durchgeführter Risikobeurteilung angemeldet werden.
· Tägliche Zutrittsbewilligungen pro Mitarbeiter und Raum stellen sicher, dass keine Unfälle passieren können.
· Der Zutritt zu sämtlichen Räumen wird durch Mitarbeitende einer Sicherheitsfirma gewahrt, die zuerst telefonisch aufgeboten werden müssen.
· Sicherheitsschuhe und Leuchtweste verstehen sich von selbst und sind auf Baustellen Pflicht.
· Auch in geschlossenen Räumen ist ein Helm mit geschlossenem Kinnband obligatorisch. Zudem sind Handschuhe unabhängig von der Tätigkeit Pflicht.
· Das richtige Tragen der kompletten Schutzausrüstung wird durch den Sicherheitsdienst mit Nachdruck durchgesetzt.
· Für jegliche Tätigkeiten müssen eigene Protokolle erstellt und umgehend online eingereicht werden.
· Anhand dieser Eingaben wird der Fortschritt der Arbeiten beurteilt und online die Einhaltung des Terminplans eingefordert.
Dies klingt alles durchdacht und logisch. Ein enger Zeitplan und die Abhängigkeiten unter den verschiedenen Firmen und Systemen führen aber zu seltsamen Situationen:
· Aufgrund des grossen administrativen Aufwandes bleibt keine Zeit für die praktischen Arbeiten.
· Die Rückmeldungen der Firmen stimmen selten mit dem echten Arbeitsfortschritt überein. Leider wird der Stand im Protokoll teilweise höher gewichtet.
· Es ist aufwändig herauszufinden, welche Arbeiten als nächstes gemacht werden können/dürfen.
· Regelmässig erhält man die Freigabe für eine Arbeit, ohne dass die Vorarbeiten wirklich erledigt sind.
Es wird nicht kommuniziert und koordiniert, sondern vorgeschrieben und protokolliert. Die zentrale Stelle, die alle Fäden in der Hand hält, fehlt oder ist mit dem Freigeben von Dokumenten absorbiert. Die Folgen sind unzählige Leerläufe und jede Menge Frust. Was auf der Strecke bleibt, ist die Lust. Zum Glück können auf den meisten Baustellen immer noch Schweizer Handwerker ohne Vorschriften von amerikanischen Konzernen arbeiten.
Nicht überwachte Kontrollen
Arbeitsaufträge werden nicht immer so verstanden und umgesetzt, wie sie geplant und vorgegeben werden. Mögliche Gründe dafür:
· Es führen verschiedene Wege zum Ziel.
· Das Ziel kann mit den vorhandenen Werkzeugen nicht erreicht werden.
· Die Ausführung kennt mehr technische Varianten, als den Planenden bewusst war.
Dies führt vor allem in grösseren Betrieben dazu, dass eine Kontrollinstanz eingeführt wird. Diese erlässt Richtlinien und Vorgaben und stellt sicher, dass alle Aufträge dementsprechend umgesetzt werden.
Die Kontrollstelle führt die Kontrollen nach bestem Wissen und Gewissen durch. Die Problematik besteht darin, dass auch für die Kontrolle wiederum definiert werden muss, was und wie kontrolliert werden soll. Entsprechend kann es vorkommen, dass auch die Kontrolle nicht im Sinne des Verfassers des Kontrollauftrages ausgeführt wird. Konsequenterweise braucht es folglich eine Kontrollstelle, welche die Kontrollstelle kontrolliert.
Dies führt zwangsläufig zu mehreren Dutzend Seiten langen Verträgen oder Arbeitsanweisungen, welche freigegeben werden müssen. Diese werden dann von den Kontrollierenden innerhalb weniger Minuten freigegeben, weil jeder davon ausgeht, dass ja bereits eine Kontrolle durchgeführt wurde, oder noch eine Kontrolle folgen wird. Aufgrund des fehlenden Bezuges zur Praxis und zum Prozess fehlen die Detailkenntnisse, um beurteilen zu können, was effektiv kontrolliert werden sollte. Folglich wird nur das kontrolliert, was einfach zu kontrollieren ist.
Die Qualität des Objektes ist am Ende nicht höher. Aber der Umfang der Dokumente viel grösser. Dieses Vorgehen generiert Kosten, welche bei den Lieferanten und den Handwerkern eingespart werden müssen. Aber natürlich ohne Qualitätsverlust!
Gesellschaftlicher Wandel und der Mangel an Fachkräften
Über Jahrzehnte haben wir uns daran gewöhnt, jederzeit alles sofort zur Verfügung zu haben. Die meisten der lebensnotwendigen Güter stehen bereit zur Verwendung, und das zu einem Preis, der uns vergessen lässt, welchen Wert das Produkt oder die Dienstleistung für uns tatsachlich hat. Mit dieser erlebten Sicherheit haben wir uns als Gesellschaft Iangsam gewandelt, unter anderem hat die Wertschätzung für Menschen abgenommen, die sich für den dualen Bildungsweg entscheiden. Seit ein paar Monaten werden verschiedene Mangellagen sichtbar, die einen noch hypothetisch, die anderen spürbar. Zur zweiten Gruppe gehört das wachsende Defizit an Fachkräften. Aus einer Vielzahl von Gründen erwähnen wir nur die beiden Nachfolgenden: Aus Baby- werden Pensions-Boomer und ein zunehmender Anteil der arbeitstätigen Bevölkerung hat sich auf Teilzeit festgelegt.
Glücklicherweise helfen uns Quereinsteigende, viele der anfallenden Herausforderungen abzufangen. Mir scheint die Geschichte langfristig trotzdem nicht zielführend, denn Quereinsteigende wirken ohne entsprechendes Fachwissen, mit beschränkter Ausbildung und wenig Erfahrung in ihrer neuen Aufgabe. Das generiert zwangsläu?g mehr Fehler und Ineffizienz — was wiederum den Fachkräftemangel verschärft. Konkret bedeutet das, dass z. B. an Stelle einer ausgebildeten Lehrperson durchaus ein Automechaniker vor einer Klasse mit 30 Schülern steht. Finden Sie das gut - auch wenn es Ihre Kinder betrifft? Ganz nebenbei wird mit solchen Massnahmen die Fachausbildung zum Pädagogen, beim Handwerk oder beim Pflegepersonal abgewertet.
Das Fachkräftedefizit führt zu kreativen Lösungen. So ist ein neues Servicekonzept entstanden, bei dem im Fall einer Störung zuerst eine Hilfskraft (in der Regel als Fachkraft verkauft) mit zwei besonderen Fähigkeiten auftaucht - nämlich Auto fahren und Telefonieren. Die erste Fähigkeit erkennt der Kunde beim Erscheinen, die zweite ca. drei Minuten später, wenn es darum geht, sich die angezeigte Störmeldung vom Servicecenter interpretieren zu lassen. Scheitert diese Hilfskraft mehrfach, kommt ein Techniker zum Einsatz, der die Anlage kennt und das Problem tatsächlich lösen kann. Der Kunde bezahlt selbstredend alle Einsätze. Mit dem Mangel an Fachpersonal sollten wir uns darauf einstellen, dass vierzigjährige Spezialisten mit langer Ausbildung auf den achtzig Jahre alten Handwerker warten. Der Vorteil wäre, dass die Pensionierten nicht nach einer neuen Tagesstruktur suchen müssten.
Wie könnte die Situation aber verbessert werden? Die nachfolgende Aussage bezieht sich fast ausschliesslich auf börsenkotierte Unternehmen und nicht auf KMU: Wie wäre es, Wertschätzung zu zeigen, indem die Löhne entsprechend der Bedeutung der erbrachten Leistung bezahlt würden? Damit schrumpften die Gewinne, der Börsenwert nähme ab. Das wäre langfristig betrachtet nachhaltiger als das Fehlen von Fachkräften. Vielleicht zeigen sich in Zukunft andere Lösungen. Unsere Arbeitswelt hat sich rasant verändert. Denkbar ist, dass wir schon bald viele unserer Arbeiten durch Roboter oder KI erledigen lassen und so andere Fähigkeiten gebraucht und neue Modelle möglich werden.
Fazit
Trotz allem lassen wir uns aber nicht «unterkriegen». Wir finden immer wieder neue Wege, uns aus den Engpässen zu befreien. Fördern wir die Zusammenarbeit erprobter Teams, die sich blind vertrauen und lassen wir den Konkurrenz-Kampf, der meist nur über den Preis geführt wird, weg. Sollen sich andere «zerfleischen» und am Ende des Tages Geld bringen. Wir werden bedeutend mehr Geld verdienen und zufriedene Kunden haben. Gute Arbeit spricht sich in der jeweiligen Branche schnell rum. Packen wir es an.
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