Energie

27.08.2024
Benedikt Vogel

Wartung von Netzkomponenten

Infrastrukturanlagen wie das Stromnetz werden für den Betrieb regelmässig gewartet, wobei Abnutzungen frühzeitig erkannt werden müssen. Ein Team aus Wissenschaftlern der ETH Zürich hat in Zusammenarbeit mit Swissgrid Möglichkeiten einer vorausschauenden Instandhaltung des Stromnetzes untersucht.

Das Rückgrat des Schweizer Stromnetzes ist das landesweite Übertragungsnetz. Hochspannungsleitungen transportieren den Strom von den grossen Kraftwerken zu den feinmaschigen Verteilnetzen in Städten und Gemeinden und gewährleisten den Stromaustausch mit den Nachbarländern. 6700 km Leitung führen an rund 12 000 Masten quer durch das Land. Zum Übertragungsnetz gehören nebst allen Leitungen auch 147 Schaltanlagen.

Zwei Drittel des Schweizer Übertragungsnetzes stammen aus der Zeit vor 1980. Swissgrid, die Betreiberin des Hochspannungsnetzes, unternimmt jedes Jahr 12 000 Inspektionen, um den zuverlässigen Betrieb des Netzes zu gewährleisten. Nicht nur der altersbedingte Verschleiss, auch Blitzschlag, Stürme, Hitze, Lawinen und Murgänge setzen den Anlagen zu. Zum Unterhalt gehören unter anderem das Aufbringen von Korrosionsschutz, der Tausch fehlerhafter Isolatoren oder die Sanierung defekter Masten und Betonsockel, aber auch das Schneiden von Bäumen. «Die anstehenden Instandsetzungsarbeiten werden nach den jährlich stattfindenden visuellen Kontrollen definiert», schreibt Swissgrid auf ihrer Webseite. Im Jahr 2018 hat die Netzgesellschaft sämtliche Leitungen und Unterwerke auf der Grundlage von Luftaufnahmen in einem digitalen 3D-Modell nachgebildet. Das Modell hilft seither bei der Planung von Wartungsarbeiten.

 

Fehler automatisiert erkennen

Forschende der ETH Zürich haben nun danach gefragt, wie Swissgrid den Unterhalt des Übertragungsnetzes im Sinne einer vorausschauenden Instandhaltung weiter verbessern könnte. «Vorausschauend» meint in diesem Zusammenhang, dass Problemstellen im Netz frühzeitig und automatisiert erkannt werden. Der Fokus lag dabei auf Freileitungen, Isolatoren und Transformatoren. «Die vorausschauende Wartung hat zum einen den Vorteil, dass sie auch unerwartete Probleme erkennen kann, zudem werden nicht Wartungsarbeiten auf Vorrat durchgeführt, was Personal und Geld spart», sagt Laya Das. Der promovierte Forscher indischer Herkunft arbeitet am ETH-Labor für «Reliability and Risk Engineering», das von Prof. Giovanni Sansavini geleitet wird. Das vom BFE unterstützte Forschungsprojekt wurde Ende 2023 abgeschlossen.

Ein Ansatz zur Fehleridentifikation im Übertragungsnetz bestand in der Auswertung von Drohnenaufnahmen. Mit den Bildern sollten fehlerhafte Isolatoren an den Hochspannungsmasten erkannt werden. Neu dabei: Blitzspuren oder Brüche an den Keramikscheiben der Isolatoren sollten nicht durch Einzelauswertung der Fotos erkannt werden, sondern automatisiert durch Objekterkennungsprogramme, die zuvor mit Modellen für maschinelles Lernen trainiert wurden. Die ETH-Forschenden nutzten über 2000 Drohnenaufnahmen von Hochspannungsmasten aus der Schweiz, den USA und China. Im ersten Schritt charakterisierten sie die Bilder. Dann trainierten sie ein Modell für maschinelles Lernen mithilfe von YOLOv5 (You Only Look Once, Version 5). Das trainierte Objekterkennungsmodell erkennt den Isolator auf einem beliebigen Bild und identifiziert den Fehlertyp (Blitzspur, Bruch).

 

Bereit für den Einsatz im Netz

Die Treffsicherheit eines Algorithmus wird in der Welt der automatisierten Objekterkennung ausgedrückt mit der «mean Average Precision» (mAP). Das ist eine Zahl, die einen Wert zwischen 0 (nicht erkannt) und 1 (zuverlässig erkannt) annehmen kann. Das von der ETH «angelernte» Programm erkennt gebrochene Isolatorscheiben mit einem mAP von 0.77, Blitzspuren mit einem mAP von 0.18. Die vergleichsweise schlechte Erkennung von Blitzspuren führen die Forscher auf den Umstand zurück, dass man in der Realität nur wenige solcher Scheiben antrifft und deshalb zu wenig Bilder verfügbar sind, um den Erkennungsalgorithmus hinreichend gut

zu trainieren.

Um die Vorhersagegenauigkeit zu verbessern, wurde die Objekterkennung um einen zweiten Analyseschritt ergänzt, der dabei hilft, fehlerhafte Isolatorscheiben zu identifizieren. Dies geschieht mit einem Prozess zur Anomalieerkennung, ebenfalls gestützt auf maschinelles Lernen. «Unser Objekterkennungswerkzeug zum Auffinden fehlerhafter Isolatoren funktioniert gut und ist bereit für den Einsatz durch Betreiber von Hochspannungsnetzen», sagt der gebürtige Mazedonier Blazhe Gjorgiev, der als promovierter Seniorwissenschaftler am ETH-Projekt beteiligt war.

 

Versuch mit Tessiner Freileitung

Eine gute Datenbasis – damit steht und fällt auch ein zweiter Ansatz, den die ETH-Forschenden untersucht haben, um Fehler bei Übertragungsleitungen zu erkennen. Ausgangspunkt sind in diesem Fall nicht Drohnenaufnahmen, sondern hochaufgelöste Messwerte. Im Zentrum dieser Studie stand eine gut 26 km lange, in 26 Segmente unterteilte 220-kV-Freileitung von Avegno (bei Locarno) nach Gorduno (bei Bellinzona). Am Beginn und am Ende ist die Leitung mit modernen Messgeräten (Phasor Measurement Units/PMU) ausgerüstet, die in der Lage sind, Spannung und Strom 8000-mal pro Sekunde zu messen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten nun herausfinden, ob es gelingen könnte, allein aus dem Vergleich der Strom-Messwerte an beiden Leitungsenden herauszufinden, ob bzw. in welchem der 26 Segmente auf der 26 km langen Strecke Verlustströme auftreten. Dies wäre ein Indiz für fehlerhafte Isolatoren.

 

Mangel an Daten über fehlerhaftes Netz

Als Mittel zum Zweck bildeten die Forschenden die Tessiner Übertragungsleitung mit einem physikalischen Modell (vereinfachter digitaler Zwilling) unter Verwendung der Software MATLAB Simulink nach, das als Parameter unter anderem Widerstand, Kapazität und Induktivität nutzt. Hierbei wurden synthetische Daten (sie repräsentieren intakte und fehlerhafte Leitungsabschnitte) verwendet. Auf dem Weg gelang es, in Simulationen und unter Einbezug von Modellen des maschinellen Lernens schadhafte Isolatoren über Verlustströme zu erkennen und zu lokalisieren. Dies gelang mit drei Machine-­learning-Modellen (Feed forward neural network/FNN, Recursive neural network/RNN, Convolutional neural network/CNN) mit einer Vorhersagegüte von 98 und mehr Prozent. Das bedeutet, dass mindestens 98 von 100 schadhaften Stellen mit Verlustströmen automatisch erkannt werden.

Ein erstaunliches Resultat, mit dem ETH-Forscher Gjorgiev gleichwohl nicht glücklich wird: «Auf Anhieb sieht dieses Ergebnis toll aus. Für die praktische Anwendung taugt unser Modell jedoch noch nicht, denn unser physikalisches Modell basiert auf den Daten eines funktionierenden Stromnetzes.» Bedauerlicherweise habe das Projektteam keine Messdaten, die aus Fehlern im Netz stammen, in seine Untersuchung einbeziehen können, sagt Blazhe Gjorgiev. Daher habe das Team keine Möglichkeit gehabt zu validieren, ob das Fehlerlokalisierungsmodell in der Praxis tatsächlich korrekt ist. Das Vorgehen liefere aber den «Proof of Concept», das ein solcher Ansatz bei ausreichenden Daten für die Modellentwicklung verwendet werden könne.

 

Fehlersuche bei Transformatoren

Das Projektteam der ETH hat die Idee der vorausschauenden Instandhaltung auch bei Transformatoren untersucht. Letztere sind technisch komplexer als Freileitungen und Isolatoren. Um die Funktionstüchtigkeit von Transformatoren zu beurteilen, wird seit vielen Jahren die DGA-Methode (für: Dissolved Gas Analysis bzw. Analyse gelöster Gase) angewendet. Hierbei wird das Öl, das im Transformator als Isolator und Kühlmittel wirkt, chemisch untersucht. Die ermittelten Gasrückstände lassen Rückschlüsse auf thermische und elektrische Fehler im Transformator zu.

Die ETH-Forschenden zielten auch hier darauf ab, die Fehlererkennung durch Einsatz von Modellen des maschinellen Lernens zu automatisieren. Swissgrid und die Fachkommission für Hochspannungsfragen (FKH) stellten Daten von mehreren Tausend DGA-Proben zur Verfügung. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelang es, durch automatisierte Auswertung der Proben auf der Basis von statistischen (konventionellen) Modellen und Machine-learning-Modellen auffällige DGA-Proben, die auf einen Fehler im Transformator deuten, mit einer geschätzten Genauigkeit von 70 bis 90 % zu bestimmen. Ob der Einbezug von maschinellem Lernen hier tatsächlich einen Vorteil bringt, müssen die Forschenden aus methodischen Gründen offen lassen.

 

Planungstool für Instandhaltungsarbeiten

Die ETH-Forschenden haben dem Projektpartner Swissgrid als Ergebnis ihres Projekts drei Tools zur Verfügung gestellt: ein Deep-learning-Modell zur Erkennung schadhafter Isolatoren auf der Grundlage von Drohnenaufnahmen; einen Algorithmus, der bei der Auswertung von DGA-Daten bei Transformatoren hilft; schliesslich ein trainiertes Machine-learning-Modell zur Diagnose von Transformatorfehlern aus DGA-Daten.

Nach Auskunft von ETH-Forscher Blazhe Gjorgiev könnten die jüngsten Erkenntnisse auch von Bedeutung für jene Schweizer Verteilnetzbetreiber sein, die eigene Hochspannungsnetze betreiben. Überdies könnten auch Mittel- und Niederspannungsnetze von fortschrittlichen maschinellen Lernmethoden zur Fehlererkennung profitieren, sagt Gjorgiev. Die Anwendbarkeit der in diesem Projekt gewonnenen Erkenntnisse auf Anlagen aus anderen Spannungsebenen müsse noch weiter untersucht werden.

 


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