Energie

Quelle: Autozueri

03.07.2025
Erik Brühlmann

Fahrende Batterien

Die Elektrifizierung der Mobilität sorgt nicht nur dafür, dass wir mit einem geringeren CO2-Fussabdruck als bisher von A nach B kommen. Elektrofahrzeuge können auch einen Beitrag an ein sinnvolles und effizientes Energiemanagement leisten. Oder könnten es zumindest.

Die vom Bund angestrebte Energiewende ist leichter ausgerufen als umgesetzt. Die Herausforderungen auf allen Ebenen sind riesig, die Lösungen sind nicht immer so klar und schon gar nicht einfach in die Praxis zu überführen. Eine der Kernfragen ist: Wie gelingt es sicherzustellen, dass Strom bei jedem Wetter und zu jeder Tages- und Nachtzeit immer und überall verfügbar ist? Eine andere: Wie kann man Energie möglichst effizient nutzen? Im Rahmen der Nationalen Forschungsprogramme «Energiewende» und «Steuerung des Energieverbrauchs» beschäftigten sich die beteiligten Forschungsteams deshalb auch mit verschiedenen Möglichkeiten zur Stromspeicherung. Neuartige Batterien wurden ebenso untersucht wie die adiabatische Druckluftspeicherung und Power-to-Gas-Lösungen. Im Zug der Elektrifizierung der Mobilität richtet sich das Augenmerk der Forschung auch immer wieder auf Elektrofahrzeuge. Denn deren Batterien können schliesslich nicht nur geladen, sondern auch entladen werden. Theoretisch zumindest.

 

Finanziell reizvoll

Autos als fahrende Stromspeicher, die dann Energie aufnehmen, wenn diese bei Sonnenschein im Überfluss vorhanden ist, und sie zum Beispiel am Abend wieder abgeben können: Das klingt nach einer einfachen Lösung, die quasi schon vor der Haustür steht und Untersuchungen zufolge grosses Potential hat, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. Eine 2024 veröffentlichte Studie der Fraunhofer-Institute für Solare Energiesysteme ISE und System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe zeigt dies deutlich. So könnten, wenn E-Fahrzeuge ins Gesamtsystem eingebunden werden, die Kosten des Energiesystems EU-weit um bis 22 Milliarden Euro pro Jahr sinken; der Investitionsbedarf ins europäische Energienetz zwischen 2030 und 2040 gar um über 100 Milliarden Euro. Auch für Verbraucherinnen und Verbraucher hätte dies positive finanzielle Folgen, wie die Studie aufzeigt. Ein Vier-Personen-Haushalt in Deutschland könnte demnach über 700 Euro Stromkosten pro Jahr sparen.

 

Theorie und Praxis

Auch für die Schweiz gibt es ähnliche Studien und Prognosen. Die ETH Zürich kommt in einer Untersuchung, die sie im Auftrag von Swiss E-Mobility, Auto-Schweiz und dem Energielösungsunternehmen Helion durchgeführt hat,zum Schluss, dass die Systemkosten für das Netz um bis zu 6,6 Milliarden Franken gesenkt werden könnten, wenn Elektroautos als Batterien verwendet würden. Das Bundesamt für Energie BFE sieht im bidirektionalen Laden einen wichtigen Beitrag zur künftigen Versorgungssicherheit der Schweiz. Dies alles gilt jedoch nur, wenn in absehbarer Zukunft ein Grossteil der E-Fahrzeuge in der Lage ist, bidirektionale Ladevorgänge durchzuführen – also gespeicherte Energie zurück ins Gebäude oder ins Netz zu speisen –, und dafür entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Hier zeigt sich, dass theoretische Prognosen und praktische Realität noch weit auseinanderliegen.

 

«Stromer» in der Krise?

Da wäre zunächst einmal die Krise, in der sich die E-Auto-Industrie derzeit befindet. «Stromer floppen», titelte der Blick Anfang Februar aufgrund des Umstands, dass die Verkäufe reiner Elektroautos 2024 um 11 Prozent zurückgingen. Handelt es sich etwa um grundlegende Vorbehalte gegenüber der E-Mobilität unter den Schweizerinnen und Schweizern, die eine Umfrage des Forschungsinstituts YouGov ausmacht? Julien Duc, Mediensprecher des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, sieht verschiedene Gründe dafür, warum der Absatz von E-Autos im Vergleich zu den Vorjahren stockte: fehlende Anreize zur Förderung von Ladestationen, eine zusätzliche Importsteuer, hohe Kaufpreise und ein überschaubares Segment von preiswerten Klein- und Kompakt-wagen. «Das führt aktuell zu Verunsicherungen», sagt Julien Duc. «Doch die Situation wird sich voraussichtlich in den kommenden Jahren wieder anders präsentieren.» 

                                                

Bidirektional? Nicht lukrativ

Dies bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sich auch die Situation beim bidirektionalen Laden in naher Zukunft deutlich verbessern wird. Noch ist die Industrie weit davon entfernt, einen Grossteil ihrer Stromer mit der Fähigkeit für diesen Vorgang auszustatten. Zurzeit sind erst knapp 25 Modelle – nicht Marken! – in der Lage, bidirektional zu laden. «Die Fahrzeughersteller sehen darin einfach noch keinen Markt», weiss Karin Schäfer, CFO und Sales- und Marketingverantwortliche bei sun2wheel. Das Unternehmen mit Sitz in Obernau LU wurde 2020 gegründet, um das bidirektionale Laden in der Schweiz auf die Strasse zu bringen. Seit 2022 ist auch der TCS Partner des Unternehmens. Ein Blick auf die Liste der Fahrzeuge mit bidirektionaler Ladefunktion zeigte bisher allerdings: Die ganz grossen Namen der Branche fehlten. Umso wichtiger war im vergangenen Jahr, dass VW verschiedene seiner Modelle für das bidirektionale Laden in der Schweiz zuliess. Sun2wheel hofft, dass dies weitere Hersteller ermuntert, nachzuziehen.

 

Erlaubt, aber schwierig

Grundsätzlich ist es in der Schweiz erlaubt, E-Fahrzeuge als fahrende Batterien zu nutzen. Seit dem 1. Januar 2022 können bidirektionale Ladestationen mithilfe eines Anschlussgesuchs angemeldet werden. Doch selbst wer einen VW ID.3, einen Nissan Leaf oder einen Mitsubishi Outlander besitzt oder einen Kauf solcher Modelle ins Auge fasst, wird sich gut überlegen, ob er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Denn während herkömmliche Wallboxen für wenige Hundert Franken zu haben sind, kostet eine Zwei-Weg-Wallbox derzeit noch zwischen 10 000 und 20 000 Franken. Wie diese Preisunterschiede zustande kommen, ist für Laien nicht auf den ersten Blick ersichtlich. «Eine bidirektionale Ladestation zu entwickeln, ist hochkomplex», erklärt Karin Schäfer von sun2wheel. Das beginne bei den meist langwierigen Verhandlungen mit den Herstellern, welche die Protokolle für den Vorgang freigeben müssen, und ende mit der Technik in der Wallbox selbst. Zum Beispiel braucht es einen Wechselrichter, der den Gleichstrom der Fahrzeugbatterien in den Wechselstrom der Haustechnik umwandelt und umgekehrt. Durch das Fehlen einheitlicher Standards für das bidirektionale Laden wird zudem die Kompatibilität zwischen den Fahrzeugen und Ladestationen erschwert. Dies gilt sogar, wenn die Fahrzeuge zur selben Konzerngruppe gehören. Die internationale Arbeitsgruppe Task 53, bei der sun2wheel-Verwaltungsratspräsident Marco Piffaretti aktiv ist, versucht, die Interoperabilität des bidirektionalen Ladens zu verbessern – eine Mammutaufgabe. Hinzu kommt die altbekannte Situation, dass die Schweiz nur schon wegen des Lohnniveaus ein Hochpreisland ist. «Wäre es einfach und bereits kommerziell lukrativ, gäbe es wohl schon mehr Anbieter», fasst Karin Schäfer die Situation zusammen.

 

Noch ganz am Anfang

Immerhin über 200 Ladestationen von sun2wheel sind trotz dieser nicht einfachen Bedingungen und der Tatsache, dass bidirektionales Laden auch auf internationaler Ebene noch in den Kinderschuhen steckt, schon im Einsatz. Dabei glaubt Karin Schäfer sogar, dass Fortschritte beim bidirektionalen Laden den Verkauf von E-Fahrzeugen fördern könnten. «Wir hören an Messen immer wieder von Leuten, die sich gern einen Stromer kaufen würden – aber nur, wenn er die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden hat», erzählt sie. Das Interesse sei grundsätzlich vorhanden, nicht nur vonseiten der Privaten. Im April vergangenen Jahres startete zum Beispiel ein Forschungsprojekt der ZHAW School of Engineering in Zusammenarbeit mit DPD und sun2wheel, bei dem es darum geht, eine E-Lastwagen-Flotte als kurzfristige Energie-Zwischenspeicher zu nutzen.

 

Vorteil Flexibilität

In der kurzfristigen Flexibilität liegt auch für Julien Duc vom VSE das grösste Potential von Stromern mit bidirektionaler Ladefähigkeit. «Im künftigen Energiesystem spielen Speicher, Batterien und Flexibilitäten eine bedeutende Rolle», ist er überzeugt. Sie erlauben es nämlich, Produktionsüberschüsse kurzfristig – für einige Stunden oder auch wenige Tage – aufzufangen, bis ein Bedarf vorhanden ist. «Damit leisten sie einen Beitrag zur Optimierung des privaten und lokalen Eigenverbrauchs», so Duc. Autobatterien könnten dann auch helfen, kurzzeitige Stromausfälle zu überbrücken; je mehr «fahrende Batterien» im Einsatz sind, desto besser. «In Summe könnte in einem solchen Fall für ein paar Stunden mit hohen Leistungen Strom in die Netze gespeist werden», sagt der Experte. Es gibt sogar Schätzungen, die besagen, dass eine E-Autobatterie ein Einfamilienhaus vier Tage lang mit Strom versorgen könnte. Die Grössenordnung stimme je nach Batterie und Stromverbrauch durchaus in etwa, bestätigt Julien Duc. Ohne das Stromnetz könne das E-Auto ein ganzes Haus in der Regel aber nicht versorgen, da es kein Inselnetz betreiben kann. Zur Überbrückung einer allfälligen Strommangellage seien Autobatterien aufgrund ihrer zu geringen Speicherkapazität ungeeignet, aber sie können in Knappheitssituationen dazu beitragen, die Stromversorgung kurzfristig zu stabilisieren.

 

Noch viel zu tun

Alles in allem klingt es, als sei bidirektionales Laden die energetische eierlegende Wollmilchsau in der Garage. Doch Julien Duc weist darauf hin, dass noch eine ganze Reihe von Herausforderungen bewältigt werden muss, ehe die Technologie ihr volles Potential entfalten kann. «Ist die IT-Sicherheit nicht gewährleistet oder die Koordination von Verteilnetzbetreibern, Swissgrid und Dienstleistern nicht sichergestellt, könnte ein flächendeckendes bidirektionales Laden zum Beispiel die Netzstabilität beeinträchtigen», so der Experte. Zudem seien verschiedene Prozessfragen zu klären, zum Beispiel die Behandlung von Netznutzungstarifen oder Kapazitätsgrenzen im Verteilnetz. Unüberwindliche Hürden seien diese Fragen nicht. Der VSE beschrieb in seinen Branchendokumenten bereits seit 2016, wie bidirektionale Ladevorgänge umgesetzt werden können. Zudem hat sich die Branche mit dem BFE und anderen relevanten Stakeholdern bereits auf eine pragmatische Lösung geeinigt, wie der Prozess «Vehicle to Grid» (siehe Kasten) gestaltet werden kann; sie wird derzeit noch optimiert. Dennoch dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis bidirektionale Ladevorgänge Normalität werden. Da helfen alle prognostizierten Potentiale nichts.


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