Ein Gebäude auf dem Weg zu Netto-Null: «Maison Climat» in Biel BE, PlusEnergie-MFH, Holzbau mit 20 Mietwohnungen, PV-Anlage auf Dach und Fassade. (Bauherrschaft: Jérôme Tschudi, Architektur: Bürgi Schärer, TU: Beer Holzbau. Foto: Damian Poffet)
Andreas Walker / PW
Hin zu Netto-Null im Gebäudebereich
Die Schweiz hat sich dazu verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Verschiedene Referate am diesjährigen IGE-Seminar des Instituts für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern zeigten Lösungsansätze auf, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken, bedeutet auch eine Herausforderung im Gebäudebereich. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, braucht es Anstrengungen über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg. Einerseits geht es um die Emissionsminimierung, andererseits um die Kompensation der unvermeidbaren Emissionen durch die Extraktion von CO2 aus der Luft. Am 20. IGE-Seminar des Instituts für Gebäudetechnik und Energie der Hochschule Luzern präsentierten die Referierenden verschiedene Lösungen aus ihren Bereichen.
Was ist ein Netto-Null-Gebäude?
Beim Bauen oder Umbauen (Baustelle, Materialaufbereitung) entstehen unweigerlich Emissionen. Daher gibt es kein Null-CO2-Gebäude. Ein Gebäude mit Netto-Null-Treibhausgasemissionen weist ein Minimum an Treibhausgasemissionen auf, sowohl für die Erstellung als auch im Betrieb über den gesamten Lebenszyklus. Die verbleibenden Treibhausgasemissionen müssen schliesslich durch anrechenbare Negativemissionen auf netto null vermindert werden. Negativemissionen entstehen, wenn der Atmosphäre durch bestimmte Prozesse oder Technologien CO2 entzogen und dieses permanent gespeichert wird, z. B. durch Abscheidung von biogenem Kohlendioxid und Speicherung im Untergrund (Carbon Capture and Storage). Als Zwischenziel bis 2040 wird für den Gebäudesektor eine Reduktion von 82 % der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 angestrebt.
Klare Definition eines Netto-Null-Gebäudes
Andreas Eckmanns vom Bundesamt für Energie stellte das laufende Forschungsprojekt «Netto-Null-Treibhausgasemissionen im Gebäudebereich» vor. Ein wichtiges Ziel ist es, wissenschaftlich fundiert zu definieren, was überhaupt ein Netto-Null-Gebäude ist, damit die Grundlagen zur Grenz- und Zielwertsetzung für die Gebäudestandards und -labels erarbeitet werden können.
Dabei sind die methodischen Grundsätze entscheidend, welche Massnahmen anrechenbar sind und welche Anreize in Gebäudestandards und -labels gesetzt werden. Diese werden im laufenden Projekt ausgearbeitet und vereinbart. Dabei soll eine einheitliche und breit akzeptierte Definition Transparenz schaffen und die Umsetzung in der Baupraxis erleichtern. Bis jetzt fehlt noch eine einheitliche Definition, was Netto-Null für den Gebäudebereich heisst, und zwar über den ganzen Lebenszyklus eines einzelnen Gebäudes hinweg. Eckmanns betonte, dass die Bereitschaft der verschiedenen Interessengruppen zu einer gemeinsamen Definition hoch sei, da alle die Dringlichkeit erkannt hätten.
Netto-Null: Bedeutung für Minergie-Gebäude
Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsleiter Minergie, erläuterte, was Netto-Null für Minergie-Gebäude bedeutet. Minergie setzt bereits heute die richtigen Anreize auf dem Weg zu Netto-Null, wie etwa mit strengen Grenzwerten im Betrieb (Winterstrom), Grenzwerten für die Erstellung und Ausweisen des Kohlenstoff-Speichers. Für die Minimierung der Emissionen aus der Erstellung eines Gebäudes gibt es eine einfache Gleichung: Man sollte so wenig Material wie möglich verbauen; wo immer möglich emissionsarme Materialien wie Holz oder Lehm verwenden und mittels schlauer Architektur dafür sorgen, dass die Gebäude möglichst langlebig sind.
Neubauten müssen einen Grenzwert für die Treibhausgasemissionen für die Erstellung und den Rückbau von Gebäuden einhalten. Erneuerungen und Anbauten sind von dieser Pflicht ausgenommen – sie schneiden bezüglich der Erstellungsemissionen im Vergleich zu Neubauten sowieso vorzüglich ab. Wo möglich, sollten Gebäude saniert, erweitert und umgenutzt statt abgerissen werden. Das bedeutet aber nicht, dass man gar nicht mehr abreissen und neu bauen sollte – je nach Bausubstanz, Neubauprojekt und Standort macht ein Ersatzneubau auch ökologisch viel Sinn.
Am Nächsten kommt aktuell dem Netto-Null-Gebäude das zertifizierte Minergie-A-Eco-Gebäude. Es produziert pro Jahr genug erneuerbare Energie für Wärme, Wasser, Lüftung, sämtliche elektronischen Geräte sowie Beleuchtung – und beinhaltet mit dem Eco-Zusatz zahlreiche Anforderungen an Bauökologie und Kreislauffähigkeit. Zudem ist ein Grenzwert für die CO2-Emissionen in der Erstellung einzuhalten und die Kohlenstoff-Speicherung wird ausgewiesen.
Der Weg zu Netto-Null ist noch lang, teuer und nicht ganz trivial. Netto-Null auf Gebäudeebene wird sich letztlich aus wirtschaftlicher Sicht entscheiden: Lohnt es sich für die Bauenden, ihre Restemissionen zu kompensieren? Diesbezüglich interessant ist die Speicherwirkung von verbautem Holz: Es verursacht kaum Mehrkosten und verschiebt die Emissionen um ein paar Jahrzehnte. Betonprodukte mit karbonatisiertem Betongranulat sind bereits verfügbar, allerdings ist das Potential für Erreichung der «Netto-Null-Bilanz» nicht ausreichend. Technologien zur Abscheidung von CO2 aus der Atmosphäre sind noch teuer, aber entwickeln sich rasch.
Viel Effizienzpotential liegt brach
Igor Bosshard von die werke versorgung wallisellen ag zeigte, dass die Effizienz beim Bauen eine wichtige Steuergrösse ist. Aus seinem früheren Tätigkeitsgebiet an der Fachhochschule OST stellte er eine Studie vor, die zeigt, dass die Wärme- und Kälteerzeugung in der Praxis oft massiv überdimensioniert ist. Diese Überdimensionierung entsteht durch Reserven, die bei der Planung und Ausführung dazukommen. Dies könnte durch Validierungen und dynamische Gebäudesimulationen vermieden werden. Eine kleinere, aber richtig dimensionierte Maschine ist deshalb wieder ein Schritt mehr in Richtung Netto-Null.
Martin Patel von der Universität Genf referierte über die Wärme- und Kälteversorgung. Dabei ging es um die Versorgung mittels thermischer Netze der 5. Generation mit Erdsondenfeldern. Er erwähnte, dass die Schweiz mit ihrem gleichzeitigen Wärme- und Kühlbedarf, der mit dem Klimawandel weiter zunehme, dafür ideal geeignet sei. Die Heizung profitiere von der Kühlung und beide profitierten vom Netz: Diese Synergien gelte es zu nutzen. Die Abwärme, die von den Kältekunden erzeugt wird, kommt den Wärmekunden zugute. Umgekehrt profitieren die Kältekunden von der Abnahme dieser Abwärme. Es handelt sich um einen wechselseitigen Vorteil, der die Effizienz des Gesamtsystems steigert.
Vor allem in Gebäuden mit einer guten Wärmedämmung zeigt sich der Einsatz einer Wärmepumpe als besonders sinnvoll und energieeffizient. Ideal dafür sind Fussbodenheizungen, gross dimensionierte Heizflächen oder Induktionslüftungen. Dabei sollte eine möglichst niedrige Heizsystemtemperatur angestrebt werden.
Willy Villasmil von der Hochschule Luzern zeigte auf, wie die Temperatur von Wärmeverteilungssystemen im Gebäude den Stromverbrauch von Raumwärme-Wärmepumpen in thermischen Netzen der 5. Generation beeinflusst. Jedes Grad Temperaturabsenkung spart 1,5 Prozent Strom, wobei das sparsamste System der Deckeninduktionsdurchlass sei.
Mit KI und Kooperationen Richtung Netto-Null
Markus Koschenz von der Hochschule Luzern stellte das Projekt «Das perfekte Haus» vor. Er betonte, dass es nicht das Ziel sei, Einzelteile inkrementell zu optimieren, sondern disruptiv und in Varianten zu denken. Maschinelles Lernen unterstützt dabei, aus Kombinationen verschiedenster Lösungsvarianten die ideale Variante zu berechnen. Neben Komfort und Wohlbefinden sind auch die Treibhausgasemissionen relevant. Ein Forschungsmodul auf dem Dach der Hochschule bildet die reale Welt ab, wo die Varianten getestet werden können. Finanziert wird das Projekt durch eine grosszügige Spende von Leo Looser aus Bad Ragaz.
Zero Emission Buildings in China
Feng Lu-Pagenkopf von Intep und Gianrico Settembrini von der Hochschule Luzern stellten ein Projekt zur Förderung des Netto-Null-Bauens in China vor. Dabei transferiert ein schweizerisch-chinesisches Team von Experten Technologie und Know-how in ausgewählte Demo-Bauprojekte in China. Interesse, Bereitschaft und Kompetenzen in China seien gross und der riesige Bausektor biete zudem entsprechend grosses Potential zur Reduktion des CO2-Ausstosses.
Ein Drittel des Energieverbrauchs in China wird durch den Bausektor ausgelöst. Chinas wirtschaftliche Entwicklung und die rasante Urbanisierung in den letzten 40 Jahren führten zu einem Bauboom, der grosse Umweltherausforderungen mit sich brachte. Um eine grüne und nachhaltige Entwicklung zu erreichen, hat die Reduktion des Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor für die chinesische Regierung höchste Priorität. Die Dringlichkeit wurde erkannt und das chinesische Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (MoHURD) ersuchte eine Zusammenarbeit mit der DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit) zur Förderung von Gebäuden mit höchster Energieeffizienz.
Das Projekt wird China bei der Entwicklung von Zero-Energy-Gebäude-Standards fördern und bei deren Umsetzung in Form von Pilotprojekten helfen. Ausserdem wird ein wertvoller Wissensaufbau der chinesischen Fachkräfte durch die Übermittlung des Schweizer Know-hows stattfinden.
Noch viel zu tun, doch die Zeit drängt
Werner Sobek rief in seinem Schlussreferat eindringlich dazu auf, mehr zu tun, um die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. Man müsse das emissionsarme und materialsparende Bauen – also etwa das Bauen mit Naturstein, Lehm oder Rezyklaten – voranbringen und sich mehr anstrengen, die unvermeidbaren Emissionen mit natürlichen oder technischen Mitteln zu kompensieren. Da die bekannten technischen Methoden zur Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre viel zu viel Energie verbrauchten, sehe er derzeit nur im Pflanzen grosser Wälder eine Chance, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.
Das IGE-Seminar mit rund 130 Teilnehmenden fand am Mittwoch, 13. März 2024, zum 20. Mal statt. Der Termin für die 21. Austragung wird der Mittwoch, der 12. März 2025, sein.