Gebäudeautomation
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11.06.2024
Manuela Talenta

Komfort in der Gebäudetechnik

Wie muss ein Gebäude beschaffen sein, damit es die Ressourcen schont und gleichzeitig die Komfortbedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer erfüllt? Im Departement Technik und Architektur der Hochschule Luzern geht man dieser Frage physisch und virtuell nach.

Auf dem Dach von Trakt 1 des Campus der HSLU in Horw thront ein Gebäude von 8 mal 8 Metern im Grundriss und 4 Metern Höhe. Unter der Leitung von Markus Koschenz wird hier am perfekten Haus geforscht. Ziel ist, die Grenzen der Gebäudetechnik zu erweitern und drängende Fragen zu ressourcenschonendem Heizen, Lüften und Kühlen zu beantworten. Kurzum: Umweltschutz und Komfortbedürfnisse sollen zusammenkommen.

 

Denken ohne Einschränkungen

Das Projekt verfolgt einen unüblichen Forschungsansatz, wie Markus Koschenz erklärt: «Heute versucht man vor allem inkrementell zu verbessern, also in vielen kleinen Schritten. Man verändert hier drei Prozent und da zwei Prozent. Ausgangspunkt ist dabei häufig die Ist-Situation mit Herausforderungen wie Status quo, normativen Einschränkungen oder technischen Grenzen, die man als gegeben hinnimmt.» Der Professor und sein Team machen es aber genau umgekehrt. «Wir fragen uns, wie perfekte Lösungen beziehungsweise in diesem Fall Elemente des perfekten Hauses beschaffen sein müssten, und definieren so die Anforderungen – frei von Einschränkungen und Zwängen.» Er erklärt diesen Ansatz anhand eines Beispiels: «Ältere Menschen, die sich häufig drinnen aufhalten, sollten ihre Jalousien im Sommer vollständig schliessen, weil sonst zu viel Sonnenlicht einströmt und es zu warm für sie wird. Da stellt sich allerdings die Frage, was es mit Menschen macht, den ganzen Tag im Dunkeln sitzen zu müssen. Wahrscheinlich wird sie das psychisch belasten. Also stellen wir uns vor, wie ein Fenster beschaffen sein müsste, um diesen verschiedenen Anforderungen gerecht zu werden. Es müsste gleichzeitig Durchsicht und Sonnenschutz bieten und dürfte ausserdem nur wenig Wärme durchlassen. Haben wir dieses perfekte Fenster im Geist skizziert, überlegen wir, was nötig wäre, um es herzustellen und einzubauen. Und dann kommen wir vielleicht zum Schluss, dass es rein technisch machbar ist, dafür aber vielleicht eine Norm geändert werden müsste.» «Das perfekte Haus» ist also weniger ein physisches Gebäude, sondern vielmehr eine Denkweise, die von einer Lösung für eine Fragestellung ausgeht und sich dann da-rauf zubewegt.

 

Es «menschelt»

Dabei steht stets der Mensch im Mittelpunkt. Markus Koschenz: «Die Fragestellung nach dem perfekten Haus kann man mit Simulationen angehen. Was diesen jedoch fehlt, sind qualitative und subjektive Aspekte.» Eine Simulation ist in der Regel eine quantitative Berechnung, zum Beispiel einer Temperatur, eines Feuchtgehalts, einer Strahlung oder einer elektrotechnischen Leistung. «Simulationen liefern heute meist nur Antworten auf der rein technischen Ebene», so Markus Koschenz. «Aber es geht um Menschen, die zwar mit den quantitativen Lösungen konfrontiert sind, diese aber qualitativ bewerten.» Aus diesem Grund ist das Projekt zweigeteilt. Der physische Teil ist das Forschungsmodul auf dem Dach. In ihm können Menschen direkt erleben, wie es sich anfühlt, wenn Veränderungen vorgenommen werden. Die Untersuchungen werden mit Studierenden durchgeführt, aber auch mit Personen ausserhalb der HSLU, die teilnehmen möchten. Die Probandinnen und Probanden werden einige Zeit im Gebäude verbringen. Markus Koschenz: «Das können je nach Untersuchung wenige Minuten, aber auch einige Stunden sein. Danach fragen wir das Empfinden anhand einer Skala ab.»

 

Wenn sich Wände verwandeln

Der virtuelle Teil sind die Simulationen. In sie werden die qualitativen Informationen integriert, und diese können dann auf andere Gebäude übertragen werden. Eine Kombination aus Messtechnik und Rechenmodell im Forschungsmodul ermöglicht es, die Eigenschaften der Wände praktisch unbegrenzt zu wandeln. Denn für das Heizen, Kühlen und Lüften macht es einen Unterschied, ob ein Raum aus schweren Beton- oder leichten Holzwänden konstruiert ist. Die Wände reagieren unterschiedlich auf Sonneneinstrahlung, Aussentemperatur oder eine unterschiedliche Anzahl von Personen im Raum. Andere Forschungsmodule decken entweder nur eine Bauweise ab oder müssen teuer und mit viel Zeitaufwand umgearbeitet werden, um Versuche mit anderen Bauweisen zu ermöglichen. Markus Koschenz erklärt, wie das im Modul in Horw funktioniert: «Wir können einer Wand zuordnen, dass sie aus Beton ist, und einer anderen, dass sie aus Holz besteht. Eine Tür konditionieren wir als Glastür, einen Boden statten wir mit einer Bodenheizung aus.» Und tatsächlich: Die vermeintliche Betonwand fühlt sich beim Anfassen deutlich kühler an als die vermeintliche Holzwand. Die Bodentemperatur steigt spürbar an. Das zu erleben, ist ein bisschen verwirrend, denn man befindet sich zwar in einem realen Raum, aber dennoch in einer virtuellen Realität.

 

Komplexe Technik

Möglich macht das ein ausgeklügeltes System: Im langen und schmalen Technikraum sind an einer Wand 12 Sets installiert, die jeweils aus einem Wasserleitungssystem, Pumpen, Ventilen und Verteilern bestehen. In die Wände der beiden quadratischen Forschungsräume sowie in die Türen zu diesen «Zimmern» sind, in Aluminium eingebettet, dünne blaue Kapillarrohre eingearbeitet. An den Wandoberflächen sowie unter dem Boden sind strategisch 60 Sensoren platziert, die den Wärmefluss messen. Über den Computer, der sich im Technikraum befindet, wird alles gesteuert. Das Rechenmodell ist eine virtuelle Kopie des physischen Wandaufbaus. Jede Leitung, jeder Sensor, jedes Ventil ist hier als eine Zahlenreihe dargestellt, die variabel ist. Markus Koschenz erläutert: «Gibt man dem Modell den Auftrag, eine Wand als Holzwand zu konditionieren, stellt sich das Regelsystem auf diese Situation ein, indem es zum Beispiel Wasser in einer bestimmten Temperatur anfordert, das dann mit einer bestimmten Geschwindigkeit durch die Wasserrohre fliesst.» Auf dem Leitsystem kann das Regelverhalten verfolgt werden. Schon nach wenigen Sekunden ist der Sollwert erreicht – eine Holzwand ist «geboren».

 

Flexibles Gebäude

Aber nicht nur die Eigenschaften im Inneren des Moduls, sondern auch dessen Geometrie ist wandelbar. Sämtliche Wände sind in Nut- und Kantmodule unterteilt, die man je nach Bedarf zusammenstecken kann. Dieses Baukastensystem macht es möglich, das ganze Gebäude nach Bedarf anzupassen. Zum Beispiel kann es mit kleinen Fenstern ausgestattet werden, um herauszufinden, ob sie aus energetischer Sicht am effizientesten sind. Das Experiment bestätigt die Theorie höchstwahrscheinlich. Doch dann kommt der Mensch ins Spiel. Er verbringt einige Stunden im Modul. Und sein Empfinden ist ein gänzlich anderes. Das gedämpfte Tageslicht, die geringe Sonneneinstrahlung und die eingeschränkte Aussicht stören ihn. Diese Erfahrungen fliessen zurück in die Simulation im virtuellen Modell. Unter Einbezug dieser Eindrücke wird es dann wahrscheinlich zum Schluss kommen, dass grössere Fenster zwar energetisch nicht ganz so effizient sind, dafür aber einen signifikanten positiven Einfluss auf das Wohlbefinden haben. Folglich wird es eine Kompromisslösung vorschlagen, die sowohl die Energieeffizienz als auch menschliches Empfinden berücksichtigt.

 

Der Keller ist der falsche Ort

Gebäudetechniker Markus Koschenz: «Mit dem Modul konnten wir einen Raum schaffen, in dem wir zusammen mit Menschen Untersuchungen anstellen können. Denn wir dürfen nicht vergessen: Der Mensch wird sich auch in Zukunft in einer gebauten Umgebung bewegen und nicht in einer simulierten.» Das ist übrigens auch der Grund, weshalb das Modul auf dem Dach steht. «Arbeitet man mit Eindrücken und Empfindungen von Menschen, spielt es eine Rolle, ob diese beim Blick aus dem Fenster die echten Zentralschweizer Berge sehen oder eine Projektion davon, beziehungsweise ob sie auf eine graue Betonwand schauen, weil das Modul im Keller steht. Es macht auch einen Unterschied, ob das durch die Fenster einfallende Sonnenlicht echt oder simuliert ist.»

 

Potential für die Industrie

Noch steht das Projekt «Das perfekte Haus» ganz am Anfang, denn das Forschungsmodul wurde erst im Dezember letzten Jahres fertiggestellt. Aber sein Potential ist gross – nicht nur für die Forschung innerhalb der HSLU, sondern auch für die Industrie. Markus Koschenz war selbst 14 Jahre lang in der Industrie tätig. Er sagt: «Unternehmen können die Infrastruktur nutzen, wenn sie unseren disruptiven Ansatz verfolgen, für den das Projekt ins Leben gerufen wurde.» Zum Beispiel ein Industriepartner, der eine personenbezogene Kühlung entwickelt, damit die Bewohnerinnen und Bewohner trotz hoher Aussentemperaturen die nötige Erholung während der Nacht sicherstellen können. Oder ein Baustoffhersteller, der nach dem perfekten Bauteilaufbau sucht. «Die Infrastruktur ist gebaut. Jetzt geht es darum, sie mit Leben zu füllen und hoffentlich ein paar gute Lösungen für künftige Gebäude zu erarbeiten.»


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