Dr. Heinz Jürgensen, Direktor Anwendungstechnik und Sonderprojekte bei Bitzer. (Bilder: zVg)
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Interview mit Dr. Heinz Jürgensen
Der beschleunigte Phase-Down fluorierter Kältemittel stellt die Kälte-, Klima- und Wärmepumpenbranche nicht nur innerhalb der EU vor entsprechende Herausforderungen. Dr. Heinz Jürgensen ist bei Bitzer Direktor für Anwendungstechnik und Sonderprojekte. Im Interview erklärt er, worauf es jetzt bei der Wahl des richtigen Kältemittels ankommt und wie Bitzer seine Kunden und Partner unterstützt.
Heinz Jürgensen, was bedeutet die neue F-Gase-Verordnung 2024/573 von 2024-02-20 für die Praxis?
Mit dem beschleunigten Phase-Down von HFKW muss sich die Kälte-, Klima- und Wärmepumpenbranche, die nach Europa liefert, auf gravierende Beschränkungen für Neu- sowie Bestandsanlagen vorbereiten. Die ersten einschneidenden Massnahmen der Überarbeitung sollen dann bereits ab Januar 2025 gelten. Hunderttausende Anlagen in Europa sind betroffen. Die allermeisten davon sind nicht so konstruiert, dass sie sich auf langfristig verfügbare Kältemittel umstellen lassen. Europa hält damit Kurs auf eine Zukunft nahezu ohne fluorierte Kältemittel.
Welche Kältemittel werden langfristig noch verfügbar sein?
Die Verwendung natürlicher Kältemittel wird stark an Bedeutung gewinnen. Kältemittel müssen einen möglichst geringen Umwelteinfluss haben, um langfristig verfügbar zu sein. Nach heutigen Massstäben könnte das heissen: Ozonzerstörungspotential ODP = 0, Treibhauspotential (Global Warming Potential, GWP) < 10, hohe Energieeffizienz, wenig bis keine umweltschädigenden Abbauprodukte, sehr geringer Produktionsaufwand und sehr wenig Produktionsabfälle. Je nach Anwendung erfüllen eine Reihe natürlich vorkommender Substanzen wie R744 (CO2), R717 (Ammoniak), R290 (Propan), R729 (Luft) und R718 (Wasser) diese Kriterien.
Welche Kältemittelempfehlungen können Sie für Neuanlagen aussprechen?
Wir bei Bitzer empfehlen unseren Kunden für Neuanlagen in der EU für alle Anwendungen, wann immer es möglich ist, diese so auszulegen und zu konstruieren, dass sie mit den beschriebenen langfristig verfügbaren, möglichst natürlichen, Kältemitteln arbeiten. Bitzer hat sein Portfolio dafür sowie die Expertise im Umgang mit natürlichen Kältemitteln seit Jahrzehnten aufgebaut. Das Unternehmen verkauft beispielsweise seit 2003 Verdichter für R744 (CO2) und ist der einzige Verdichterhersteller, der Hubkolben-, Schrauben- sowie Scrollverdichter für R290 (Propan) führt.
Ist die Verwendung natürlicher Kältemittel beispielsweise aus technischen Gründen nicht möglich, empfehlen wir auf jeden Fall die Wahl eines Kältemittels mit GWP < 10 wie R1234yf. Sollte das ebenfalls nicht möglich sein, kann der Grenzwert GWP < 150 ins Auge gefasst werden. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Dieser Wert könnte für Neuanlagen bereits als zu hoch gelten, wenn die vorgeschlagenen Phase-Down-Werte nach 2030 berücksichtigt werden. Kältemittel mit einem höheren Treibhauseffekt, die unbedingt benötigt werden, sollten nur noch für die Wartung von Bestandsanlagen eingesetzt werden, da die Quoten nach unseren Abschätzungen ab spätestens 2027 trotz steigendem Recycling nur noch dafür reichen. - (vgl. Grafik)
Wie geht es mit Bestandsanlagen weiter, die mit fluorierten Kältemitteln betrieben werden?
Es ist durchaus möglich, dass funktionierende Anlagen durch neue ersetzt werden müssen, da die Kältemittel den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Entsprechend unseren Informationen werden der Betrieb und die Wartung von Bestandsanlagen mit HFKW für noch rund 10 bis 15 Jahre möglich sein. Jedoch wird es Grenzen der zulässigen GWP-Werte sowie der Menge an verfügbaren fluorierten Kältemitteln geben. Wir erwarten ab 2025 deutliche Preissteigerungen und Kältemittel-Engpässe sind ab 2027 nicht auszuschliessen. Signifikante Preissteigerungen von Kältemitteln mit einem GWP > 150 sind ab diesem Zeitpunkt unausweichlich.
Bitzer empfiehlt daher dringend eine Umstellung oder einen Retrofit von Bestandsanlagen mit hohem Wartungsaufwand oder Kältemittelverlust auf die technisch und wirtschaftlich am niedrigsten mögliche GWP-Werten. Dabei bieten wir unseren Kunden und Partnern auch Unterstützung, beispielsweise durch Trainings, Leitfäden und Sonderauslegungen.
Welche Besonderheiten gibt es im Umgang mit natürlichen Kältemitteln?
Natürliche Kältemittel erfordern meist besondere Schulungen für einen sicheren Umgang. So sind Kohlenwasserstoffe wie R290 (Propan) oder R600a (Isobutan) hochentzündlich. R744 (CO2) wiederum geht mit hohen Anlagendrücken einher. Entscheidend ist es, sich fundiertes Fachwissen über die Kältemittel der Zukunft anzueignen. Wir unterstützen mit Informationen, beispielsweise im Kältemittel-Report, sowie praxisorientierten Trainings in der Schaufler Academy. Auch die Anlagenkomponenten selbst müssen für die entsprechenden Kältemittel ausgelegt sein.
Bitzer verfügt mit seinen Produkten über eine langjährige Expertise mit natürlichen Kältemitteln und entwickelt sein Portfolio kontinuierlich dahingehend weiter. Ein Beispiel ist unser neuer 8-Zylinder-Hubkolbenverdichter für CO2 als Kältemittel, der bis zu 10 Prozent energieeffizienter ist als marktübliche 6-Zylinder-Verdichter. Grundsätzlich kann ein Umstieg auf alternative Kältemittel im Zusammenhang mit neuen Verdichtern und Komponenten ein hohes Mass an Energieeffizienz und Kosteneinsparpotentiale bieten.
Viele Niedrig-GWP-Kältemittel gelten zudem als PFAS und könnten über die EU-REACH-Chemikalienverordnung verboten werden. Kann davon ausgegangen werden, dass sich die PFAS-Verbote durchsetzen?
Die ungesättigten teilfluorierten F-Gase (HFO) wurden als wichtiges Werkzeug zur Verringerung der direkten Treibhausgasemission entwickelt. Was vor Kurzem eingeführt wurde, um die Emissionsquoten der F-Gasverordnung zu erreichen, könnte unter ein mögliches PFAS-Verbot fallen. Dann wäre es schwieriger, die Emissionsziele zu erreichen. Wir gehen derzeit stark von einem kommenden PFAS-Verbot aus. Es ist jedoch schwer abzuschätzen, welche Stoffe genau betroffen sein werden. Darum empfehlen wir so eindeutig, bei so vielen Anlagen wie möglich natürliche Kältemittel einzusetzen.
Wie versuchen Unternehmen und Verbände Einfluss auf die PFAS-Verhandlungen zu nehmen?
In der Eingabephase von März bis September 2023 konnten fundierte Stellungnahmen eingereicht werden. Daran hat sich auch Bitzer beteiligt. Über 5600 Eingaben aus der ganzen Welt sind bei der europäischen Chemikalienagentur eingegangen zu den vielfältigen Anwendungen der verschiedenen PFAS, von fluorierten Gasen und Lösungsmitteln über Textilausrüstungen bis hin zu Fluorkunststoffen für Dichtungen und Gleitlager. Es gilt, das Verhältnis zwischen Umweltschutz sowie technischer und wirtschaftlicher Umsetzbarkeit zu beleuchten. Die Eingaben werden nach der Bewertung durch zwei Expertenkomitees wahrscheinlich erst im kommenden Jahr von EU-Parlament, EU-Kommission und Europarat weiterbearbeitet. In dieser Phase haben auch die Länder wieder Einfluss. Wir sind auch mit dem Umweltbundesamt im Austausch. Vor 2025 ist mit einer Entscheidung nicht zu rechnen.
Wie sieht es ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraums aus?
Die aktuellen Entwicklungen der Regularien in Europa werden auf der ganzen Welt aufmerksam beobachtet. Das Kigali Amendment sieht auch global eine schrittweise Reduktion von Emissionen durch F-Gase vor – jedoch mit einer versetzten Zeitschiene und abhängig von Ländergruppen. Traditionelle Industrieländer müssen 2024 ihre Emissionen aus dem Verbrauch und der Produktion um 40 Prozent gegenüber den Basisjahren 2011–2013 senken. Andere Länder haben etwas mehr Zeit. Sogenannte Artikel-5-Länder beispielsweise müssen 2024 ihre Emissionen zum ersten Mal überhaupt begrenzen. Viele Länder weltweit setzen sogar auf eine stärkere Reduktion, als das Kigali Amendment vorschreibt – nicht nur die EU mit der F-Gase-Verordnung. Auch beispielsweise Australien, Japan und Norwegen. Verkürzungen können durch die einzelnen Länder beschlossen und durch Finanzierungen des Multilateral Funds gefördert werden. Wenn sich alle Mitglieder einig sind, können die vorgesehenen Zeitschienen auch insgesamt verkürzt werden. Vor 2028 ist damit voraussichtlich jedoch nicht zu rechnen.
Viele Länder setzen beim Heizen zukünftig stark auf Wärmepumpen. Belastet das die vorhandenen Quoten, beispielsweise der F-Gase-Verordnung, da dort ja absolute Mengen genannt werden?
Tatsächlich ist in den vorgegebenen Quoten kaum eingerechnet, dass der Bedarf an Kältemittel durch Wärmepumpen steigen wird. In Europa werden kleine Anlagen für Wohnhäuser zwar oft vorgefüllt importiert, aber auch dann muss der Importeur nachweisen, dass er sich die Quote dafür in Europa gesichert hat. Zum Glück für die Importeure ist allerdings ein festgelegter Anteil der Quoten für sogenannte neue Marktteilnehmer vorgesehen. Dieser Anteil wird geringer reduziert als der Anteil für die innereuropäischen Hersteller.
Sehen Sie auch noch ganz neue Kältemittel am Horizont?
Für Sonderanwendungen, zum Beispiel für Hochtemperaturwärmepumpen über 140°C, ist Wasser als Kältemittel interessant. Für die üblichen Anwendungen werden eher neue Gemische von Kohlenwasserstoffen oder Gemische mit CO2 auf den Markt kommen. Der Temperaturgleit solcher Gemische kann genutzt werden, um die Effizienz im Verflüssiger und Verdampfer zu erhöhen. Kohlenwasserstoffe lassen sich untereinander so mischen, dass sie die gleiche Drucklage wie ein anderes Kältemittel erreichen. Mit Kohlendioxid können nicht brennbare Gemische hergestellt werden. Umgekehrt mischt man Kohlenwasserstoffe zu CO2, um den Anwendungsbereich zu erweitern: Ihr Anteil hebt den kritischen Punkt, sodass man bei höheren Temperaturen verflüssigen kann als mit reinem CO2. Und auf der Niederdruckseite kann man mit den Gemischen tiefer verdampfen, weil die Kohlenwasserstoffe noch bei tieferen Temperaturen als CO2 flüssig bleiben. Ausserdem senkt man die Drucklage gegenüber reinem CO2 und kann damit Effizienz gewinnen.