Schutz vor Hagel: Gebäude sicher gestalten für die Zukunft
Daniela Hochradl / PW
Hagelschäden und Gebäudeschutz
Naturereignisse verursachen jährlich Gebäudeschäden in dreistelliger Millionenhöhe. Mehr als ein Drittel dieser Schäden ist auf Hagel zurückzuführen. Vertreter aus der Produktherstellung, der Solarbranche, von Prüfinstituten und der Gebäudeversicherung diskutierten am 19. Januar an der Swissbau 2024 rund um Hagelschäden und Gebäudeschutz.
Die steigenden Hagelschäden in der Schweiz stellen eine ernsthafte Herausforderung dar, die sowohl die Bauindustrie als auch die Versicherungsbranche vor neue Aufgaben stellt. Meteorologin und Moderatorin Nicole Glaus betonte zu Beginn der Diskussion die zunehmende Häufigkeit von Starkwetterereignissen und deren direkten Einfluss auf die Schäden an Gebäuden. Die Bedeutung hagelsicherer Bauweisen wurde unterstrichen, insbesondere angesichts der neuen Erkenntnisse aus dem Projekt «Hagelklima Schweiz» (2018–2021) von MeteoSchweiz und Partnern. Dabei wurden neue Hagelgefährdungskarten erarbeitet, die als nationale Referenzen dienen.
Hagelwiderstand von Bauteilen
Hagelwiderstandsklassen werden festgelegt, indem Bauteile in anerkannten Prüflaboren unter standardisierten Bedingungen mit Eiskugeln beschossen werden. Wenn ein Bauteil diesen Beschuss ohne Schäden übersteht, wird es einer Hagelwiderstandsklasse zugeordnet. Hagelgeprüfte Produkte mit Hagelwiderstand HW 3 oder höher bieten erfahrungsgemäss einen guten Schutz. Der Schweizerische Fachverband für hinterlüftete Fassaden (SFHF) weist darauf hin, dass durch die Einhaltung der Hagelwiderstandsklasse HW 3 viele Schäden vermieden werden könnten. HW 3 bedeutet, dass ein Bauteil im Neuzustand keinen Schaden erleidet, wenn es von Hagelkörnern mit drei Zentimetern Durchmesser getroffen wird. Das Hagelregister listet Bauteile auf, die in anerkannten Prüflaboratorien auf Hagelsicherheit geprüft worden sind. Martin Jordi von der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen VKG, der für den Aufbau des Hagelregisters zuständig ist, unterstrich in der Diskussion die Notwendigkeit, die Auswirkungen von Hagelschäden durch fortlaufende Forschung und angepasste Baupraktiken zu minimieren. Vor allem das Jahr 2021 hat gezeigt, dass Hagelschäden stärker im Fokus stehen sollten.
Hagelklima Schweiz
In der Schweiz hagelt es durchschnittlich an über 30 Tagen pro Jahr. Regionen, die geografisch anfälliger für Hagel sind, sehen sich regelmässig mit der Herausforderung konfrontiert, Gebäudeschäden zu minimieren. Hagelgefährdungskarten (siehe Bild 2) geben Aufschluss darüber, welche Regionen besonders gefährdet sind. Darunter sind das südliche Tessin, das Emmental, das Entlebuch, die Napfregion im zentralen Mittelland und der Jurabogen mit mehreren Hageltagen pro Jahr. Insbesondere in diesen gefährdeten Gebieten sind auch grössere Hagelkörner wahrscheinlich.
Begriffe rund um den Hagel
Hagel kann nicht flächendeckend am Boden gemessen werden. Radarhageldaten (Auftreten und Korngrösse) werden mithilfe von Algorithmen aus Radarmessungen abgeleitet und mit punktuellen Bodenbeobachtungen wie Hagelkornfunden oder Schäden plausibilisiert.
Hagelkorngrösse (engl. Maximum Expected Severe Hail Size, MESHS) ist definiert als die maximal zu erwartende Hagelkorngrösse pro Quadratkilometer. Die in der Anwendung betrachteten Flächen sind aber generell kleiner. Um eine reell auf der Skala eines Hausdachs vorkommende Korngrösse abschätzen zu können, wird LEHA (engl. Largest Expected Hail On A Reference Area) abgeleitet, was für «Grösster zu erwartender Hagel auf einer Referenzfläche» steht. Diese abgeleitete Grösse ist insbesondere für Anwendungen rund um Schäden an Gebäuden und Fahrzeugen relevant.
Hagelwahrscheinlichkeit (engl. Probability Of Hail, POH): bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der Hagel am Boden pro Quadratkilometer zu erwarten ist.
Hageltage sind definiert als Tage mit hoher Wahrscheinlichkeit für Hagel (POH ≥ 80 %).
Hagelfläche bezeichnet die von Hagel betroffene Fläche pro Hagelereignis (POH ≥ 80 %).
Bauweisen und Kostenaspekte
Die Auswahl von Bauteilen mit hohem Hagelwiderstand ist entscheidend für den Schutz der Gebäude vor Hagelschäden. Bei der Firma Montana Bausysteme AG, Hersteller von Gebäudehüllen aus Metallblech, ist das Thema Hagel seit 2012 präsent. «Heute gehört der Hagelwiderstand zum Produkt dazu», sagte Markus Dürr. Nach starken Hagelereignissen, wie es 2021 der Fall war, kam es in der gesamten Branche zu einer Sensibilisierung.
Hochwertige, hagelresistente Materialien können die Wahrscheinlichkeit von Schäden erheblich verringern, auch wenn dies zu steigenden Initialkosten führen kann. Die Kosten, die durch Hagelschäden entstehen, betreffen vor allem strukturelle Schäden an Dächern, Fassaden und Fenstern und können erhebliche finanzielle Belastungen für Hausbesitzer, Versicherungen und die Wirtschaft insgesamt mit sich bringen.
Anpassung an das Hagelklima Schweiz
Die Baunormen SIA 261 und 261/1 legen, zusätzlich zu gesetzlichen und versicherungsrechtlichen Vorgaben, Schutzziele fest. Diese variieren je nach Gebäudenutzung und -funktion, die in den Bauwerksklassen (BWK I-III) festgelegt sind. Die konkreten Anforderungen an den Gebäudeschutz vor Hagel sind in der Norm SIA 261/1 (2020) festgehalten. Es wird beispielsweise gefordert, dass normale Wohn- und Gewerbegebäude mit bis zu 50 Personen (BWK I) einem 50-jährlichen Hagel-gewitter standhalten können, indem sie Hagelkörner mit drei Zentimetern Durchmesser aushalten (HW 3). In der neuen Hagelkarte sind jedoch viele neue Gebiete mit 50-jährlichen Wiederkehrperioden mit Korndurchmessern von über vier Zentimetern ausgewiesen. Konkret bedeutet dies, dass HW 3 in diesen Gebieten nicht mehr ausreichend sein wird. Der Teil der Norm zum Thema Hagel wird derzeit von einer Arbeitsgruppe des SIA überarbeitet; dieser kommt voraussichtlich im Sommer 2024 in die Vernehmlassung. Für Gebäude mit höherer Belegung oder wichtigen Funktionen wie Schulen (BWK II) oder Krankenhäusern (BWK III) gelten in der Deutschschweiz heute schon strengere Anforderungen (HW 4). An der Podiumsdiskussion betonten Vertreter der Baubranche, dass eine stärkere Differenzierung zwischen Funktion und Ästhetik wünschenswert wäre. Beispielsweise sollte laut Metallfassaden-Vertreter Markus Dürr in den Bauwerksklassen II und III der ästhetische Aspekt nicht so stark gewichtet werden.
Auswirkungen auf die PV-Branche
David Stickelberger von Swissolar erläuterte, dass Hagel in den letzten Jahren auch international mehr berücksichtigt wird. Standardmodule aus Asien, die in der Schweiz hauptsächlich verbaut werden, halten im Grossen und Ganzen HW 3 ein. Aktuell wird standardmässig bei bestimmten Glasdicken HW 3 ohne zusätzliche Tests anerkannt. Schweizer Spezialprodukte, beispielsweise für Indach-Anlagen, halten bereits HW 4 oder HW 5 ein. Bisher bestand eher die Tendenz, die Gläser dünner zu machen, damit die Module leichter werden. Stickelberger geht davon aus, dass es eine Gegenbewegung geben wird, weil die Module an die Witterungsbedingungen angepasst werden müssen. Die Einführung der Forderung HW 4 für Solaranlagen sollte jedoch nicht vorschnell vonstattengehen, sagte Stickelberger, um den Solarausbau nicht zu bremsen.
Im Falle von Schäden an Solaranlagen durch Hagel bietet das Swissolar-Merkblatt «Umgang mit Hagelschäden an Solaranlagen» eine Reihe von Informationen und Werkzeugen, um den Schaden ordnungsgemäss zu behandeln. Für den Eigentümer ist es wichtig, das Schadensbild sorgfältig zu dokumentieren und den Schaden der Versicherung zu melden. Änderungen in der Leistung der Anlage infolge eines Modulwechsels müssen an Pronovo gemeldet werden.
Hagel kann an Photovoltaikanlagen auch Schäden verursachen, die auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind. Trotz optischer Unversehrtheit können Mikrorisse auftreten. Die Ostschweizer Fachhochschule bietet mit dem mobilen PV-Labor bei Leistungsminderung oder zur Qualitätskontrolle Tests von PV-Modulen direkt vor Ort an (Bilder 5 und 6).
Ausblick und Schlussfolgerung
Die steigenden Hagelschäden erfordern eine Anpassung der Bauweisen und eine verstärkte Sensibilisierung für den Gebäudeschutz vor Hagel. Durch präventive Massnahmen, fortschrittliche Baumaterialien und effektives Risikomanagement können die Auswirkungen von Hagelstürmen minimiert und die Widerstandsfähigkeit von Gebäuden gestärkt werden. Kontinuierliche Forschung und Entwicklung bleibt erforderlich, um den Herausforderungen des Klimawandels wirksam zu begegnen.
Eine Videoaufzeichnung (60 Min.) der Swissbau-Veranstaltung vom 19.1.2024 steht online zur Verfügung.
National Centre for Climate Services NCCS: nccs.admin.ch > Suche mit «Hagelklima Schweiz» führt zu Hagelgefährdungskarten.
Die Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen VKG
ist verantwortlich für den Aufbau des schweizweiten Hagelregisters und die Zertifizierung der Bauprodukte nach den Hagelwiderstandsklassen.
SPF Testing – Hagel
Die Hagelbeständigkeit von Bauteilen ist wichtig für die Versicherbarkeit eines Gebäudes. SPF Testing prüft den Hagelwiderstand für alle Elemente der Gebäudehülle und nach allen gängigen Normen und ist ein anerkanntes Prüflabor für das Hagelregister.
Prüfen und Zertifizierung: Die SPF-Testanlagen werden für die Zertifizierung von Produkten verwendet, können aber auch für Forschung und Entwicklung eingesetzt werden. Dazu können Korngrösse und Geschwindigkeit gewählt werden. Es steht auch eine Highspeed-Kamera zur Verfügung, um den Einschlag genau zu sehen.