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07.11.2024
Andreas Walker

Sonnenstürme und Polarlichter

Die Sonne sendet nicht nur Licht und Wärme zur Erde, sie schickt auch elektrisch geladene Teilchen zu uns, die bei einem Sonnensturm eine Bedrohung für elektronische Geräte darstellen können. Das schönste Ereignis sind jedoch Polarlichter, die in seltenen Fällen sogar bei uns gesehen werden können.

Die Polarlichter wurden schon sehr früh von Seefahrern in hohen geografischen Breiten beschrieben. Als der Polarforscher Robert Scott das Polarlicht zum ersten Mal sah, sagte er: «Es ist unmöglich, Zeuge eines solchen Phänomens zu sein, ohne dabei Ehrfurcht zu empfinden. Es wendet sich sogleich an die Fantasie, weil es eine spirituelle Quelle zu haben scheint.» Scott war nicht der Einzige, dem dieses kalte Licht in langen Polarnächten einen ehrfurchtgebietenden Schauer über den Rücken jagte.

Die Inuit glaubten, das Polarlicht habe den Ursprung im Spiel der ungeborenen Kinder oder es komme von den Fackeln der Toten, die den Lebenden bei der winterlichen Jagd helfen wollten. Einige Indianerstämme befürchteten, dass die Seelen der erschlagenen Feinde in diesen Lichterscheinungen wieder sichtbar würden, um sich zu rächen. Andere wiederum meinten, das Licht stamme vom Tanz der Tiergeister, insbesondere der Seehunde und der Belugas, der Weisswale. Der Volksglaube sah in diesen Lichtern auch einen sichtbaren Kampf der Götter. Häufig galten sie als Schreckenszeichen von kommendem Unheil, da man die leuchtenden Erscheinungen am Himmel in Fantasiegebilde wie Drachenfiguren oder sonstige unheilbringende Boten deutete.

 

Polarlichter und Sonnenaktivität

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler immer mehr, ihre Aufmerksamkeit auf die magnetische und elektrische Natur der Polarlichter zu richten. Der schwedische Physiker Anders Jonas Ångstrøm (1814 – 1874) untersuchte das Polarlicht mit einem Spektrometer und stellte fest, dass das Nordlicht aus leuchtenden Gasen besteht. Allerdings fand er nicht heraus, welches Gas dafür verantwortlich war, denn die gemessenen Spektrallinien liessen sich mit nichts Bekanntem vergleichen.

 

In der Nacht vom 1. auf den 2. September 1859 erfolgte ein extrem starker Sonnensturm, der Polarlichter produzierte, die bis nach Rom, Havanna und Hawaii sichtbar wurden. Dieses Ereignis verursachte Starkströme in den Telegrafenleitungen in Nordeuropa und Nordamerika, sodass diese Funken schlugen. Das erst gerade weltweit installierte Telegrafennetz wurde massiv beeinträchtigt. Der Sonnensturm war so stark, dass sogar in Puerto Rico, auf 18 Grad nördlicher Breite, das Polarlicht noch im Zenit zu sehen war! Vor diesem Ausbruch hatte der englische Astronom Richard C. Carrington (1826 – 1875) extrem helle Sonneneruptionen beobachtet. Nach 18 Stunden brach auf der Erde der stärkste Magnetsturm aus, der je registriert wurde. Damit war ein erster Zusammenhang zwischen Polarlichtern und Sonnenaktivität hergestellt. Dieser Sonnensturm wird heute als «Carrington-Ereignis» benannt.

 

Schliesslich schlug Kristian Birkeland (1867 – 1917) vor, dass das Nordlicht das Resultat einer Wechselwirkung von geladenen Partikeln solaren Ursprungs und des Erdmagnetfeldes sei. Diese Theorie wurde durch die Tatsache unterstützt, dass bei grösserer Sonnenaktivität (viele Sonnenflecken) die Intensität und Häufigkeit der Polarlichter auffällig zunahm.

 

Die geomagnetischen Stürme von Halloween 2003

Die Sonne sendet mit ihrer Strahlung einen permanenten Strom von geladenen Teilchen, den Sonnenwind, aus. Das Erdmagnetfeld fängt normalerweise diese Teilchen ab und schützt uns davor. Erst bei einem Sonnensturm, wenn sich die Stärke des Sonnenwindes durch eine erhöhte Sonnenaktivität stark gesteigert hat, können diese geladenen Teilchen viel weiter vordringen. Schwere Sonnenstürme können bei Satelliten, elektrischen Anlagen, Navigationssystemen wie GPS und Funkverbindungen starke Störungen verursachen. Der gewaltige Sonnensturm, der im September 1859 stattfand, beschädigte schon damals die Telegrafenleitungen. Ein solches Ereignis würde sich in der heutigen hochtechnisierten Welt noch sehr viel stärker auswirken.

Zwischen dem 19. Oktober und dem 5. November 2003 wurden 17 grössere Sonneneruptionen beobachtet, die zu den «geomagnetischen Stürmen von Hal­loween 2003» zusammengefasst wurden.

 

Am 30. Oktober 2003 fiel aufgrund der hohen erdmagnetischen Aktivität im schwedischen Malmö für 20 bis 50 Minuten ein Teil des Stromnetzes aus. Davon waren 50 000 Stromkunden betroffen. Weil die technischen Anlagen für die Luftüberwachung für 30 Stunden ausgefallen waren, wurden Luftkorridore in Nordkanada für Passagierflugzeuge geschlossen. Zeitweise setzten Signale der Satelliten- und Navigationssysteme aus. Über 60 Flüge in den USA mussten verschoben werden. Flugzeuge wurden angewiesen, grosse Höhen in der Nähe der Polargebiete zu meiden. Die Astronauten der Internationalen Raumstation (ISS) erhielten die Anweisung, sich in dem besser abgeschirmten Teil des russischen Orbitalsegments aufzuhalten, damit sie dort vor der erhöhten Strahlung geschützt waren.

 

Die intensiven Polarlichter konnten an diesem Tag bis in die Mittelmeerländer und in Nordamerika bis nach Florida beobachtet werden. Durch den Sonnensturm wurden zahlreiche Satelliten beschädigt oder fielen ganz aus. Einige waren zuvor in einen abgesicherten Modus versetzt worden, um die Ausrüstung zu schützen.

 

Die Raumsonde 2001 Mars Odyssey registrierte wenige Stunden später die Auswirkungen des Sonnensturms auf die dünne Atmosphäre des Mars, die teilweise in den Weltraum abgegeben wurde. Die Raumsonde Ulysses registrierte den Sonnensturm in der Nähe des Jupiters und die Raumsonde Cassini-Huygens in der Nähe des Saturns, wo die Einwirkung noch stark genug war, um erhebliche Auswirkungen auf die Atmosphäre des Saturns zu verursachen, obwohl dieser Planet ein deutlich stärkeres Magnetfeld als die Erde besitzt. Die Raumsonde Voyager 2 (sie wurde 1977 gestartet und befindet sich inzwischen ausserhalb unseres Sonnensystems) konnte schliesslich im April 2004 die Eruption erfassen.

 

Die geomagnetischen Stürme vom Oktober 2003 werden von der Intensität her mit den geomagnetischen Stürmen von 1859, dem Carrington-Ereignis, verglichen. Bei starken Sonnenstürmen können die Teilchen des Sonnenwindes weiter als sonst zur Erde vordringen, was für die moderne Technik und Elektronik fatale Folgen haben kann, weil z. B. Computerdaten verloren gehen können. Vor allem stellt die Strahlenbelastung für Satelliten und Raumstationen ein grosses Problem dar. Der Mensch breitet sich mit seiner Technologie zunehmend in die Magnetosphäre aus, z. B. mit Kommunikationssatelliten. Strahlungsbedingte Ausfälle von solchen Satelliten sind bekannt.

 

Der elfjährige Sonnenzyklus erreicht demnächst seinen Höhepunkt. Deshalb dürften Polarlichter besonders häufig und intensiv auftreten. Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Polarlichter wieder in Mitteleuropa beobachtet werden können, wie es bereits in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 2024 der Fall war.


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